
Frei werden auf Mallorca, das war der Titel der Seminarreise. Der Endschluss stand fest: Wir fliegen in die Sonne, ans Meer - dem Schnee, der Kälte, dem Nebel und der Dunkelheit in Deutschland für eine Woche entfliehen, und es sollte so perfekt wie möglich werden. Nach einigem hin und her hatten wir ein Haus in der ersten Reihe gefunden, mit einer großen Terrasse und fantastischem Blick auf das Meer, sogar von den Schlafzimmern aus. Aufwachen mit dem Sonnenaufgang, und zu Abend essen mit dem Sonnenuntergang. Erste Reihe in jeder Beziehung, gehobene, gute Ausstattung, und eigentlich viel zu teuer, nicht nur ein bisschen zu teuer, sondern viel zu teuer, eher sogar viel, viel zu teuer. Aber, wie heißt es so schön: man gönnt sich ja sonst nichts, was natürlich gar nicht stimmt, aber der Spruch beruhigt die Nerven und das Portmonee, und die zweite Beruhigung: wir waren ja auch sehr fleißig. Ein Hoch auf die Illusionen in diesem Leben! Und noch ein „gutes-Gewissen-Kriterium“: das Haus war mit einer Heizung ausgestattet, was an den kühlen Abenden unabdingbar schien.
Die Anreise war problemlos, alles klappte wie am Schnürchen (wieder so ein komischer Spruch), und das Haus in der ersten Reihe war wirklich wunderbar, traumhaft, umwerfend schön und schien perfekt. Wir tranken zunächst einen Tee auf der Terrasse und genossen das Meer, die glitzernden Sonnenstahlen auf dem Wasser, die Wärme, und die Ruhe. Zwischendurch beruhigten wir uns gegenseitig: Die teure Toplage steht uns wirklich zu, ja, wirklich! Wir waren dankbar, an diesem nahezu magischen Ort sein zu dürfen.
Als die Sonne begann unterzugehen, gingen wir in das Haus und schalteten die Heizung an, leider funktionierte sie nicht. Wir riefen den Verwalter an, der versprach, am nächsten Tag zu kommen und die Heizung in Gang zu setzen. Wir packten uns warm ein, es gab genug Decken, und gingen früh schlafen. Am nächsten Morgen wurden wir von der Sonne geweckt, die uns ihre wärmenden und heilenden Strahlen in unser Schlafzimmer schenkte. Es gibt wohl keine wohltuendere Art geweckt zu werden. Wir frühstückten auf der Terrasse und hatten fast die defekte Heizung vergessen, als der Verwalter kam, die Heizung inspizierte und uns mitteilte, dass sie leider nicht zu reparieren sei. Er bot uns ein Haus in der zweiten Reihe an, noch schöner, noch größer, noch luxuriöser und mit funktionierender Heizung. Wir entschieden uns zu bleiben, wir wollten die erste Reihe!

Wir genossen den Urlaubstag am Meer, das Haus entsprach genau unseren Wünschen, den ganzen Tag auf der Terrasse am Meer bleiben zu können und nicht wegfahren zu müssen. Am Abend machten wir Feuer und hatten Spaß mit dem Sammeln von Anfeuerholz auf einem Grundstück in der Nachbarschaft. Leider funktionierte das warme Wasser nicht gleichbleibend gut, eingeseift und Haare schamponiert kam von jetzt auf gleich nur kaltes Wasser und unverzüglich hörte man einige der schlimmsten Schimpfwörter von der Dusche bis auf Meer hinaus. Wieder wurde der Verwalter angerufen, wieder die Info, es kann nicht repariert werden, die Schwankungen könnten leider bestehen bleiben, das Alternativhaus in der zweiten Reihe stehe noch bereit, und wieder entschieden wir uns nach einer kurzen Krisensitzung zu bleiben, wir wollten die erste Reihe!
Wir hatten großes Glück mit dem Wetter und fühlten uns trotz der Unannehmlichkeiten reich beschenkt, bis dann die Toilettenspülung in einem Badezimmer nicht mehr funktionierte. Wir überlegten: keine Heizungswärme, kein kontinuierlich warmes Wasser, kein abfließendes Wasser… Was hatte das mit uns zu tun? Welche verschlüsselten Botschaften hat das Haus für uns? Wir entschieden humorvoll, dass es ganz bestimmt nichts mit uns zu tun haben könne, riefen den Verwalter an, er reparierte, schlug wieder das Alternativhaus in der zweiten Reihe vor, und wir entschieden einstimmig, zu bleiben, wir wollten die erste Reihe!  Â
Kein Tag verging ohne Fehlermeldung, noch einmal die Toilettenspülung, die Heizung in einem Schlafzimmer und noch einige Kleinigkeiten hielten uns und die Handwerker auf Trab. Das besondere war, dass sich keiner von uns darüber aufregte, wir nahmen es gelassen und mit viel Humor an. Und immer entschieden wir zu bleiben, denn das Wichtigste war für uns erfüllt: die erste Reihe mit dem uneingeschränkten Blick auf das Meer.
Wir genossen jeden Tag das Meer, die Sonne, die fantastische Lage des Hauses und verbrachten sehr viel Zeit auf der Terrasse mit endlosen Gesprächen. Das Hauptthema in dieser Urlaubswoche war Beziehung und Partnerschaft. Wir sprachen über potentielle neue Partner und darüber, was der neue Partner alles haben und bieten müsste, und was er/sie auf keinen Fall tun, sagen oder haben dürfte. Im Laufe der Woche hatte jeder eine lange Liste zusammengestellt. Hätten wir so eine Liste für das Haus in der ersten Reihe erstellt, wäre es niemals von uns gewählt worden, und doch war es für diese Woche die beste Wahl, denn das Hauptkriterium war erfüllt. Vielleicht versuchen wir die Last der eigenen Unvollkommenheit durch den unerfüllbaren Wunsch an den potentiellen neuen Partner mit der Vollkommenheit zu kompensieren, und bleiben dadurch unerfüllt und alleine.

Das Haus hat uns gezeigt, dass es auf die gemeinsame Basis ankommt, in diesem Fall die erste Reihe. Wir brauchen eine gemeinsame Schwingung und Ausrichtung, das Haus, das in der ersten Reihe steht und der Mensch, der die erste Reihe will, wertschätzt und liebt. Wenn wir die vielen Erwartungen loslassen können und eine klare Entscheidung treffen, wie die unveränderliche Basis sein soll, sein muss, dann können wir uns in der gleichen Realität treffen, dann verlieren viele innere und äußere Schönheitsfehler an Bedeutung.
Diese wunderbare Reise war magisch. Der Blick in die Vollkommenheit in der Unvollkommenheit schenkte uns die heilende Annahme der eigenen Unvollkommenheit, eine ganz neue innere Sicherheit mit der wir unser Leben in Liebe friedvoll gestalten können.
Ach ja, und Geld haben wir vom Reiseveranstalter auch zurückbekommen. Wie schon gesagt, es war eine magische Reise, es war ein für uns vollkommenes Haus in der ersten Reihe.
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